Verbesserung der Vergütung unabhängiger Produzenten und Nutzer-Kreativität auf online – Plattformen

Neulich meldete ich mich bei einer Veranstaltung mit Kulturstaatsminister Neumann zum Thema Urheberrecht. Leider vertritt Herr Neumann bei dem Thema ziemlich pur die Position der Musikindustrie, also habe ich ihn auf die Situation der selbständigen Produzenten und Nutzer-Kreativität aufmerksam gemacht. Daraufhin bat er mich, ihm ein Papier zu dem Thema zu schreiben, das deutlich macht, wie man verbessernde Maßnahmen in Gesetze giessen kann, er sei nämlich kein Jurist.
Nun, das bin ich auch nicht, aber ich habe trotzdem ein paar grundlegende Gedanken für ihn zusammengefasst und gestern losgeschickt. Mal sehen, was davon kommt. Im folgenden findet ihr den Text komplett und hier auch als pdf zum download.

Zur Rolle unabhängiger Produzenten auf digitalen Kulturmärkten
unter besonderer Berücksichtigung des produzierenden Konsumenten

Thesenpapier für Kulturstaatsminister Neumann anlässlich der Novellierung des Urheberrechts 2011

Autor: Holger Schwetter

Die Kulturproduktion und Distribution verändert sich grundlegend im Kontext digitaler Netzwerke. Es darf zurecht von einem digitalen Zeitalter gesprochen werden, für das neue Paradigmen entstehen. Eine Neustrukturierung der Kulturindustrie ist in diesem Zusammenhang unvermeidbar. Sie muss so geschehen, dass sich die kulturellen und unternehmerischen Potentiale des digitalen Zeitalters ihrem Wesen gemäß entfalten können. Dann werden Kreative und Unternehmen erfolgreich sein, die die innere Logik und Dynamik der digital vermittelten Prozesse verstehen und in ihren Geschäftsmodellen verkörpern.

Ein Wesensmerkmal des Digitalen ist die Sichtbarkeit der verteilten Kreativität. Die Produkte der Kulturindustrie sind genauso leicht erreichbar wie die Amateurproduktionen aus der Nachbarschaft. Unternehmen, die diese Sichtbarkeit unterstützen, wie youtube oder myspace, gehören zu den ersten Unternehmen, die Marktführungsrollen in der digitalen Kulturdistribution übernehmen konnten.

Ein zweites Wesensmerkmal ist die Dynamisierung der Rollen der Marktteilnehmer. Nutzer laden auf den o.g. Plattformen vielfach auch urheberrechtlich geschütztes Material anderer Kreativer hoch. Sie betätigen sich damit nicht nur als Produzenten, sondern auch als Distributoren, als Kulturvertrieb.

Gesetzliche Regelungen sollten diese Dynamik unterstützen und ihre Weiterentwicklung ermöglichen. Die wichtige Frage ist, wie Vergütungen für die Leistungen der Nutzer / Produzenten / Distributoren geschaffen werden können. Die Frage lautet nicht, wie man sie daran hindern kann, ihre neuen Rollen einzunehmen. Letzteres ist nur eine Frage aus der begrenzten Perspektive von Unternehmen, deren alte Geschäftsmodelle nicht für das digitale Zeitalter taugen. Demgegenüber gibt es eine Menge vielversprechender Ansätze, die von neuen, noch kleinen Unternehmen und Initiativen vorangetrieben werden. Mikropayment und gestaffelte Provisionsmodelle gehören ebenso dazu wie flatrates. (Die flatrates gehören übrigens schon lange zum Kern des Geschäftsmodells der GEMA. Von Kneipen, Diskotheken, kleineren Radiostationen und vielen anderen Musiknutzern verlangt die Verwertungsgesellschaft sogenannte pauschale Vergütungen, sprich monatliche Pauschalen (=flatrates), die nach internen Verteilungsschlüsseln an die GEMA-Mitglieder verteilt werden.)

Wir befinden uns in einer Phase blühender Kultur. Es wird mehr Kultur produziert und verteilt als vielleicht jemals zuvor. Der neue Modus der Kulturdistribution ist das Teilen – das Empfehlen oder Weiterreichen von Inhalten. In Form von filesharing wird es von der alten Kulturindustrie bekämpft und steht viel zu sehr im Fokus der Aufmerksamkeit; Unternehmen wie facebook oder twitter hingegen verhalten sich innovativ – sie machen das Teilen von Inhalten zum Kern der Nutzeraktivitäten auf ihren Plattformen und werden damit zu Marktführern einer 2. Generation von Unternehmen, die das Wesen digitaler Kultur verstehen.

Kleinunternehmer und selbständige Kreative waren im alten Markt benachteiligt. Der beschränkte Zugang zu Vertrieb und Regalflächen begünstigte die Entstehung grosser, konzentrierter Rechteverwertungsunternehmen. Der digitale Vertrieb begünstigt eine Neustrukturierung des Marktes als kleinteilig und mittelständig auf der Produzentenseite. Wiederum sind die Unternehmen die Gewinner, die dazu passende Geschäftsmodelle entwickeln, wie beispielsweise Amazon, die einen Großteil ihres Umsatzes mit sogenannten Nischenprodukten erwirtschaften.

Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wesentliche Möglichkeiten der digitalen Kultur sind noch nicht entwickelt. Es sollte jedoch klar geworden sein, dass Verbote von Nutzeraktivitäten zum Schutz von veralteten Vermarktungsmodellen z.B. der Musikindustrie nicht der richtige Weg für die Entwicklung dynamischer digitaler Märkte sind.

Zu Recht zentral und bislang nur in Ansätzen beantwortet ist die Frage, wie eine Vergütung der Nutzer und/oder Produzenten aussehen soll. Ist ein schon immer schwieriger Begriff wie die „Schöpfungshöhe“ hier, wo die Rollen zunehmend verschwimmen, noch praktikabel? Jeder Eintrag auf einer Internetplattform stellt eine Veröffentlichung dar, fällt unter das Urheberrecht und könnte vergütet werden. Nur erteilen die Urheber i.d.R. den Plattformen über die jeweiligen AGBs das Recht auf eine nicht-exklusive, vergütungsfreie Nutzungslizenz. Die Plattformen verdienen Geld mit den Inhalten und dem Wissen über das Verhalten ihrer Nutzer. Es muss ein politischer Diskurs darüber in Gang kommen, ob und wieviel davon an unabhängige, professionelle Produzenten und an die Inhalte produzierenden Nutzer einer Plattform zurückfließen muss. Bloße kostenlose Nutzung erscheint mir auf die Dauer als eine zu geringe Gegenleistung zu der Macht und dem Profit, zu denen die produzierenden Nutzer den Plattformen verhelfen. (Ergänzung: Das free culture forum zitiert mehrere Autoren, die übereinstimmend 15% des Umsatzes als Ausschüttung an die Nutzer fordern.)

Die GEMA muss davon überzeugt werden, dass es auch die schöpferischen Leistungen der Nutzer-Produzenten-Distributoren, der „prosumer“ Wert sind, von ihr vertreten zu werden und dass es im Zeitalter ständiger digitaler Veröffentlichung praktikabel ist, Lizenzbaukästen wie creative commons von ihren Mitgliedern nutzen zu lassen, die auch Rechte zur kostenlosen Weitergabe von Werken beinhalten.

Von der momentanen Gestaltung des Urheberrechts profitieren vor allem die grossen Rechteverwertungsunternehmen und in den Verwertungsgesellschaften nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Urhebern im inneren Kreis. Die Verwertungsgesellschaften sichern nicht die unabhängigen Produzenten und erst recht nicht die Berufseinsteiger ab. Der Schutz der Kreativen wird von den Rechteverwertern wiederum bloß als rhetorische Figur im Kampf um ihre Geschäftsinteressen vorgeschoben.

Die digitalen Netzwerke führen zu einer Neugestaltung wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Prozesse. Die Politik muss erkennen, dass die Rahmenbedingungen Offenheit herstellen müssen, um Innovation zu ermöglichen. Nur dann können die Prozesse so verlaufen, dass die digitale Kultur ihre Potentiale voll entfalten kann. Es kann nicht angehen, mit restriktiven Vorschriften Teile der Internetkultur zu verbieten, um alte Geschäftsmodelle zu schützen, die Konsumenten, Vertriebswege und Produzenten weiterhin als streng getrennt betrachten wollen.

An den digitalen Märkten werden sich neue Vertriebsmodelle durchsetzen, die dem Wesen dieser Märkte gerecht werden. Gewinnen werden Länder, die mit liberalem Urheberrecht Innovation und kulturelle Entwicklung zur Entfaltung bringen.

Autor und Rechteinhaber: Holger Schwetter, 11.09.2011
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