Gepflegt scheitern: Stucky/Doran/Tacuma/Studer spielen Hendrix

Konzertkritik, Porgy & Bess, Wien, 30.09.2015

Es steht ein tolles Team auf der Bühne: Doran und Studer waren die Gründer der legendären rock/jazz Band Om, Clarke hat bei Defunkt Bass gespielt, Erika Stucky ist als Sängerin sehr präsent und beliebt.

Stucky/Doran/Tacuma/Studer nähern sich dem Phänomen Jimi Hendrix von der Avantgardeseite her. Auch wenn man das zunächst nicht merkt. Nach zwei relativ braven Coverversionen fransen sie immer wieder und immer mehr aus, mit Geräuschpassagen, insbesondere Erika Stucky experimentiert mit ihrer Stimme, Tönen, Klängen, Geräusche, Spielzeugmikrofone. Einmal zieht sie eine Schaufel über die Bühne.
Demgegenüber ist der Gitarrist Doran vom Typ her angenehm zurückhaltend und spielt sehr kontrolliert. Das Spiel ist von Klang und Gestik nah am Original, die Hendrix-artigen Ausbrüche sind sparsam gesetzt und bleiben ebenfalls sehr kontrolliert. Die Klang- und Geräuschteppiche sind sehr kompetent gesetzt.

Die Musik bewegt sich sehr gepflegt auf hohem Niveau. Und dennoch, oder genau deshalb: Man kann dem Projekt beim Scheitern zusehen, und dieses Scheitern ist sehr aufschlussreich. Denn die Distanz zu Hendrix bleibt groß, auf allen Ebenen. Das Gepflegte und Routinierte sowohl in der Musik als auch im Ablauf des Abends, als routiniert abgewickeltes Konzert in einem renommierten Jazzclub wird durch den Bezug auf Hendrix überdeutlich. Jimi Hendrix ging an Grenzen, an diesem Abend bleibt alles wohltemperiert. Das ist nicht den Musikern anzulasten, es ist ein Phänomen unserer Zeit. Der Geist Jimi Hendrix, der Nachklang seiner Liveaufnahmen, der im Geist beim Hören der Musik mitläuft, macht die große Distanz der Gegenwart wie unter einer Lupe deutlich.

Jeder hier hat seinen durchgeplanten Tages- und Abendplan, sein Konzertprogramm oder das wie üblich organisierte Konzert. Das Konzert beginnt pünktlich und manch einer hat vielleicht für hinterher noch einen Tisch in einem netten Weinlokal reserviert. Nichts wird dazwischenkommen. Das ist einhundert prozentig sicher. Nichts wird in Frage gestellt oder herausgefordert werden. Die Musik ist nur ein Element der durchorganisierten Routinen, die sich hier überschneiden. Sie fügt sich wie geplant ein, auch die geräuschigen Avantgardepassagen oder abwegigen Rhythmen und Taktarten werden wohl dosiert eingestreut. Nichts wird überdehnt, nichts belastet oder fordert heraus. In diesem Sinne tut sich eine scheinbar unüberbrückbare Lücke auf zwischen der Band und Jimi Hendrix. Natürlich wird es auch niemals zu laut.

Einmal wird es richtig spannend. Erika Stucky singt die Passage „I want to be like Helium“, ein Zitat aus einem Interview, das Jimi Hendrix eine Woche vor seinem Tod gab. Für eine Minute sieht es so aus, als würde nun der Geist von Jimi Hendrix angerufen, die Atmosphäre verdichtet sich. Doch hier ist das Konzert zuende, das Zitat war der Schlussakkord.

Das alles steht nicht der Liebe des Publikums entgegen. Der Saal ist ausverkauft, das Publikum liebt die Riffs und Melodien. Fast alle sind jenseits der Fünfzig, sie alle kennen und schätzen Hendrix aus ihrer Jugend und feiern die Band. Die Band gibt die obligatorische Zugabe, danach gehen alle zufrieden ihren weiteren Plänen und Verpflichtungen nach.

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